Konstituierende Sitzung zur Eröffnung der 17.Wahlperiode am 2.Mai 2011

13.06.2012

Rede des Altersvorsitzenden Gerhard Molzahn


Dennoch möchte ich Sie einladen zu einem kurzen Rückblick aus Anlass des heutigen Tages. Wenn wir zurückrechnen – je Wahlperiode meist vier, einmal zwei und jetzt fünf Jahre-, so kommen wir auf 65 Jahre seit der ersten Kommunalwahl am 27.Januar 1946. Der historische Zufall wollte es, dass dies genau ein Jahr nach der Befreiung von Auschwitz war.
Das sind 65 Jahre Frieden in Deutschland- einzigartig und „eine Anomalie in der deutschen Geschichte (H.M. Enzensberger“. Freilich war dieser Frieden mehrfach gefährdet, aber dennoch, er hat gehalten.

Nach der totalen militärischen und politischen Niederlage am 8.Mai 1945 lag Deutschland am Boden, materiell und moralisch. Ein politisches Leben gab es nicht, da eine Betätigung in diesem Sinne von den Alliierten zunächst verboten war. Nach und nach wurde das Verbot gelockert, und schon im Herbst 1945 kam es zu ersten Parteigründungen auf lokaler Ebene und dann eben zur bereits genannten ersten Kommunalwahl im Januar 1946- nur acht Monate nach dem Zusammenbruch des Nazi-Reiches. Um diese kurze Zeitspanne zu verdeutlichen: Wenn unsere Wahl am 27.März die erste gewesen wäre, so wäre der Krieg gerade erst im letzten Juli zu Ende gewesen.

Unter welchen katastrophalen äußeren Bedingungen damals die ersten politischen Gehversuche stattfanden, ist heute kaum noch vorstellbar, und wohl niemand hier im Saal hat noch eine bewusste Erinnerung daran.
Ich haben diese Anfänge in der Ostzone miterlebt. Auch dort gab es demokratische Hoffnungen und erste Wahlen in Gemeinden und Ländern im Herbst 1946, noch relativ frei. Es gab zahlreiche Abgeordnete in Städten und Ländern von CDU und LDP, in Sachsen- Anhalt wurde sogar ein liberaler Ministerpräsident gewählt. Aber: Ich muss die Geschichte nicht rekapitulieren; wie sich das weiterentwickelt hat, wissen wir alle.

Hier, in den westlichen Besatzungszonen, konnte sich ein demokratisches Staatswesen entwickeln, angestoßen und gefördert von den Alliierten. Nach den schlechten Erfahrungen von Weimar hätte in diesen Nachkriegsjahren wohl niemand die Prognose gewagt, dass diese neue Demokratie auch nach einem Menschenalter noch Bestand haben könnte.
Sie ist inzwischen zu unserer Demokratie geworden, und unseren demokratischen Altvorderen schulden wir Dank und Respekt. Sie wussten, dass dies der einzige Weg sein konnte, damit das deutsche Volk nach der entsetzlichen, von ihm mit verursachte Katastrophe von 1945 jemals wieder Aufnahme in den Kreis geachteter Völker finden konnte. Auch wir sollten diese geschichtlichen Hintergründe nicht vergessen.

Diese Demokratie muss sich nun weiter bewähren, nicht nur in Zeiten der Wohlstandsmehrung, sondern erst recht in kritischen Zeiten wie jetzt.
Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle doch zwei weitverbreiteten Irrtümern resp. Missverständnissen entgegen treten und sagen, was Demokratie nicht ist. Sie ist kein einmal etabliertes und damit dauerhaftes politisches System, also kein Selbstläufer. Sie bedarf der Pflege, sie bedarf der politischen und menschlichen Fairness, sie bedarf einer politischen Kultur im Umgang miteinander und der Regeln, der geschriebenen des Gesetzes und der ungeschriebenen des Anstands sowie der Kompromissfähigkeit. Freiheit und Demokratie müssen täglich neu erkämpft werden, nicht nur gegen rechten und linken Ungeist.

Sie ist auch keine reine Harmonieveranstaltung, im Gegenteil. Politische Debatten um Werte, Streit um die Definition von Zielen und Auseinandersetzungen um die richtigen Wege dahin gehören zum Lebenselixier der parlamentarischen Demokratie. Dazu sind dann auch die oft verachteten Parteien notwendig.

Und es ist wichtig, dass die Bürger das wissen und verantwortlich mitmachen, sich einmischen, mindestens an Wahlen beteiligen. Es wäre wichtig, denn wir alle wissen, dass wir hier Entwicklungen beobachten, die uns sorgenvoll stimmen müssen.

Bei dieser Gelegenheit kann ich mir einen kleinen Seitenblick auf die Zuschauertribüne nicht verkneifen. Sehr viele Plätze sind heute besetzt, und das ist auch gut so. Wir würden uns aber noch mehr freuen, wenn unsere regulären Sitzungen wenigstens halb so gut besucht wären. Man würde ein viel authentischeres Bild vom Geschehen gewinnen als nur aus den sachorientierten Zeitungsberichten. Das ist kein Vorwurf an die Presse, sondern nur eine Feststellung. Die Lebenserfahrung und die politische Erfahrung sagen, dass Dinge und Vorstellungen wie Freiheit und Demokratie ihren höchsten Rang dann haben, wenn man sie entbehrt, dagegen in Zeiten von Frieden und Wohlstand an Wertschätzung einbüßen, weil sie als selbstverständlich gegeben betrachtet werden.

Das kann nun nicht bedeuten, dass wir noch einmal Unterdrückung brauchten, um das rechte Verständnis von Freiheit und Demokratie wiederzugewinnen. Es liegt an uns, mit einer praktizierten politischen Kultur die Lebensfähigkeit und Beständigkeit unseres Gemeinwesens zu erhalten. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung und Aufgabe. Was wir bei aller Auseinandersetzung nicht brauchen, ist Streit um des Streits willen, keine Unwahrhaftigkeiten, keine dogmatische Rechthaberei und persönliche Profilsucht, sondern Fairness und Toleranz im Ringen um die besten Lösungen.

Ich hoffe, wir werden diesen Erwartungen gerecht, mehr noch: Ich erwarte es.

Es ist darüber hinaus unsere Aufgabe, diese Haltung auch an unsere junge Generation weiterzugeben. Bei einer Abschlussfeier für meine Schüler vor vielen Jahren habe ich es einmal so formuliert: Engagiert euch, denn es ist euer Staat, er ist es wert- und ihr habt keinen anderen.

Behalten wir im Gedächtnis, dass wir in einer Demokratie in Freiheit leben dürfen, die wir zwar vor 65 Jahren nicht selbst erkämpft haben, die – nach den deutschen Geschichtskatastrophen des 20. Jahrhunderts – dauerhaft zu bewahren uns aber aufgetragen bleibt, auch und gerade auf unserer kleinen kommunalen Ebene.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gedeihliche Arbeit für unsere Gemeinde Wald-Michelbach.