„Politische Dummheit und Naivität“

07.02.2020

Stimmen der örtlichen FDP-Politiker zu den Vorgängen in Thüringen


Das Beben, das die FDP in Thüringen ausgelöst hat, beschäftigt auch die Liberalen in Weinheim, an der Bergstraße und im Odenwald. Die Stellungnahmen der örtlichen FDP-Politiker und Verbände hat die Redaktion zum Großteil vor Bekanntwerden des Rücktritts von Kemmerich eingeholt.

Der Weinheimer FDP-Ortsverband nimmt Kemmerich in Schutz: „Thomas Kemmerich hatte als einziger den Mut, gegen AfD und Linke für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren, damit auch die Demokratie und die bürgerliche Mitte eine Chance haben. Thomas Kemmerich hat, im Gegensatz zu CDU, Grünen und SPD, diese Verantwortung übernommen. Das ist erstens kein Frevel und zweitens ein mutiger Schritt. Das sollten wir nicht vergessen.“ Kemmerichs Rücktritt und die Auflösung des Landtags halte man „in Anbetracht der Blockadehaltung von SPD/Grünen/Linken für die aktuell sinnvolle Vorgehensweise.“

Roland von Hunnius
(Rimbach), früher FDP-Landtagsabgeordneter und aktuell stellvertretender Vorsitzender des Ortsverbandes sowie Gemeindevertreter, sagt: „Einmal zum Ministerpräsidenten gewählt, stand Kemmerich vor der Entscheidung, entweder die Wahl abzulehnen – und sich nachsagen zu lassen, vor der Verantwortung zu kneifen –, oder die Wahl anzunehmen – und sich der Herkulesaufgabe im Interesse der Thüringer Bevölkerung zu stellen. Er entschied sich für die zweite Variante und ist sich bewusst, dass er auf die Mitarbeit und Unterstützung der demokratischen Fraktionen angewiesen ist. Eine Zusammenarbeit mit der AfD kam und kommt weder für ihn noch für die FDP in Betracht.“

Gerhard Molzahn (Wald-Michelbach), Grandseigneur der Bergsträßer Liberalen und Ehrenvorsitzender des Wald-Michelbacher Ortsverbands, nimmt dagegen kein Blatt vor den Mund: „Ich kenne nicht alle Einzelheiten, aber so viel politische Dummheit und Naivität ist mir noch nicht untergekommen. Das war politisch blind, ohne die Folgen zu bedenken.“ Das Argument, damit den Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow verhindert zu haben, greift für ihn zu kurz. „Das ist ja kein waschechter Kommunist, sondern ein West-Import. Und so schlecht hat er das Land auch nicht regiert. Diese Blockadehaltung gefällt mir sowieso nicht, ganz egal, von welcher Seite aus.“ Sollte es Neuwahlen geben, werden CDU und FDP verlieren, so seine Prognose.

Der Hirschberger FDP-Fraktionssprecher Oliver Reisig zeigte sich geschockt: „Dass Kemmerich mit den Stimmen der AfD gewählt wurde, hat mich wirklich überrascht. Es wäre wohl besser gewesen, wenn er die Wahl erst gar nicht angenommen hätte“, meinte Reisig. Die Regierungsbildung in Thüringen sei aber ohnehin schwierig gewesen, jetzt müsse man abwarten, was passiert, sagte der Fraktionschef am Morgen. Da wusste er noch nicht, dass Kemmerich am Mittag zurücktrat.

Günter Breiling (Weinheim) ist seit fast 50 Jahren Mitglied der FDP, saß unter anderem 35 Jahre für die Partei im Gemeinderat. Er sagt: „Mit der Kandidatur von Thomas Kemmerich wollte die FDP in Thüringen das Potenzial der gemäßigten Mitte aufzeigen.“ Er mahnte: „Man darf nicht mehr draus machen, als es ist.“ Schon am Donnerstagmorgen tippte er auf Neuwahlen.

Auszug aus der Odenwälder Zeitung